Früher war Handarbeiten eine ganz normale Tätigkeit. Schon in der Schule haben Mädchen die verschiedenen Techniken gelernt, die Jungen durften in dieser Zeit oft schon ihre Freizeit genießen (oder den viel cooleren Werkunterricht). Begabung und Spaß an der Sache waren aber bei weitem nicht jedem Mädchen in die Wiege gelegt, Handarbeiten galt als altmodisch, so ließ die Aktivität außerhalb der Schule häufig zu wünschen übrig. Auch meine “Werkstücke” wurden meist von meiner Mutter fertiggestellt. So hat sie mindestens die Hälfte meines Pullis gestrickt – mal eben so nebenbei, damit er rechtzeitig fertig wurde. Die “2” dafür hatte schon einen etwas schalen Beigeschmack.
Zu Hause war in vielen Familien die Oma für das Stricken von Socken oder das Häkeln von Decken zuständig. Nicht jeder Beschenkte hat sich über die oft aus Wollresten gestrickten Socken oder die “feinen” Filetdeckchen gefreut.
Heute trifft man dagegen immer häufiger junge Frauen mit Häkel- oder Stricknadeln in der Hand an, auch in der Öffentlichkeit. Häkeln ist wieder modern. Dabei geht es nicht nur um das Anfertigen von praktischer Kleidung, sondern auch um dekorative Dinge, wie diese Häkelhühner. Woher kommt dieser Wandel?
Die Faszination des Selbstgemachten
Immer alles verfügbar – diese Tatsache hat offenbar für manche Menschen an Reiz verloren. Niemand muss zwingend auf etwas warten, denn (fast) alle Produkte sind jederzeit verfügbar. Nun gut, die neueste Version eines beliebten Handys ist erst Wochen nach der Ankündigung lieferbar, aber EIN Handy ist immer irgendwo im Angebot. Kleidung, Lebensmittel, Lifestyle-Artikel können rund um die Uhr gekauft werden, on- oder offline. Filme, Musik, Lesestoff – alles ist jederzeit herunterzuladen oder zu streamen. Jeder kann alles. Ein Klick – fertig. Dabei geht aber auch die Vorfreude auf etwas Neues verloren.
Bei Handarbeiten ist das anders. Sie kosten immer Zeit und oft sehr viel Mühe. Es ist ein wunderbares Gefühl, etwas geschafft zu haben, was nicht jeder kann. Je nach Art der Handarbeit beträgt der Zeitaufwand Stunden, Tage oder gar Wochen. Ein T-Shirt ist relativ schnell genäht, ein Top in nicht allzu langer Zeit gehäkelt oder gestrickt. Ein aufwändiger Pullover mit Einstrickmuster oder eine große Decke beschäftigen uns dagegen schon mal viele Wochen. (Ein kleines Geständnis: Mein letzter Musterpulli hat ca. dreieinhalb Jahre auf seine Vollendung gewartet.)
Außerdem entstehen so Unikate. Niemand hat denselben Pullover oder das gleiche Kleid wie ich. Selbst wenn alle Materialien gleich sind, unterscheiden sich die fertigen Stücke. Vermutlich gefällt diese Tatsache nicht nur mir, jedenfalls höre ich das oft von anderen HandarbeiterInnen und Beschenkten. Das macht selbstgemachte Geschenke übrigens auch so wertvoll: Da ist jemand, der hat seine Zeit investiert, um mich zu beschenken.
Vielleicht spielt auch die Tatsache eine Rolle, dass der Beruf vieler Menschen eher abstrakt ist und am Ende des Tages keine zählbaren oder vorzeigbaren Ergebnisse vorliegen. Auf die Frage “Was hast Du heute gemacht/erreicht?” ist die Antwort “23 Kreditanträge bearbeitet” oder “Acht Stunden an der Supermarktkasse gesessen” nicht für jeden befriedigend. Ab und zu ein selbst gefertigtes Kleidungsstück oder ein niedliches Amigurumi vorzeigen zu können und dafür vielleicht auch noch Bewunderung zu ernten erfüllt dagegen mit Stolz. Also ich finde nicht, dass Handarbeiten altmodisch ist. Im Gegenteil: es ist so modern, wie schon lange nicht mehr!
Welches Handarbeitsstück ist Dir in der letzten Zeit besonders gut gelungen? Teil es gern in den Kommentaren!
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